Ilona Kálnoky

Mittwoch, 18. September 2019, 20:30 Uhr




Ilona Kálnoky, Installation, Traklhaus

Was zur Hand ist
Ilona Kalnokys plastische Enzyklopädie

Falten, mischen, schütten, quetschen, schichten, rollen, stapeln – all diese Tätigkeiten hat Ilona Kalnoky in den letzten Jahren immer wieder vollführt. Für diese Handlungen hat sie einfachste Materialien benutzt: Sand und Salz, Ton und Beton, Schaumstoff und Plexiglas. Manche der so entstandenen Objekte sind für sich genommen recht unspektakulär, manche existieren garnicht mehr; so der Gipskloss, den sie mit Wucht an die Wand geschleudert hat und der dort auseinandergeplatzt hängen blieb. Da prangt er jetzt noch als Zeugnis einer hoch emotionalen Handlung. Anderen Objekten hingegen hat die Zeit unfreundlich mitgespielt: Bei der Schaumstoffrolle, die Kalnoky nahezu mittig gefaltet, in einen oben offenen Plexiglaskasten gepresst hat, sind die beiden unterschiedlich lang herausschauenden Enden vergilbt, während das Mittelstück makellos geblieben ist. Auch der weisse Ballon schliesslich, den die Künstlerin in eine Schraubklemme gezwungen hat, wird nicht ewig so schön prall bleiben und sich mit seiner Oberflächenspannung der Klemme entgegenstemmen. Nach und nach wird er Luft verlieren und irgendwann als leerer Schlauch zwischen den offenen Enden der Klemme liegen.

Beiläufigkeit statt Verewigung
Mit klassischer Bildhauerei hat das natürlich wenig zu tun. Schliesslich war diese doch auf Dauerhaftigkeit des Abbildes und somit auf Verewigung des oder der Dargestellten angelegt: Bilder von Helden und Herrscherinnen, Heiligen und Allegorien wurden darum mit Vorliebe in Marmor geschlagen und Bronze gegossen, um die Erinnerung an sie so lang wie möglich wachzuhalten. So bevölkern Franz Joseph I und Wilhelm II, Mozart und Wagner, Grillparzer und Goethe noch heute vorzugsweise die städtischen Anlagen und gemahnen an manchmal nur noch vergangene Grösse.
Für die Kunst des 20. Jahrhunderts, die Eigenschaften wie Dynamik und Metamorphose feierte, war die Skulptur just aus den vorgenannten Gründen eher ein Wechselbalg denn ein geliebtes Kind. Die bahnbrechenden Neuerungen schienen sich sowieso eher in Malerei und Zeichnung, wenn nicht gar nur in den neuen Medien wie Fotografie und Film und den ephemeren Gattungen wie Performance und Konzept zu ereignen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg holte die Skulptur mit der Adaption von alltäglichen Materialien wie industriell hergestellten Stoffen und neuen Präsentationsformen wie der Kinetik den Vorsprung der anderen Gattungen auf.
Hier kann Ilona Kalnoky anknüpfen, wenn sie Materialien wie Schaumstoff oder Zement verwendet, die eigentlich aus der Produktion von Gebrauchsobjekten stammen und von Kunstströmungen wie der Pop Art just wegen ihrer Banalität schon in die Kunst eingeführt worden sind. Die Stoffe sind günstig verfügbar, schnell bei der Hand und vermitteln daher unmittelbar den konzeptuellen Charakter der meist kleinformatigen Arbeiten. Denn um die besonderen handwerklichen Fähigkeiten, die es zum Hauen von Skulptur oder Giessen von Plastiken braucht, geht es bei Kalnokys Arbeiten offensichtlich nicht. Vielmehr zielen sie ab auf das Ausprobieren und das Vermessen der künstlerischen Möglichkeiten der Plastik, die prinzipiell auf Aufhäufen, Anfügen und Verformen von zumeist weichen Massen beruht.

Leib statt fester Form
Dabei soll die alltägliche, unvirtuose, plastische Geste, die die Formveränderung hervorgebracht hat, ebenso sichtbar bleiben wie der körperhafte Charakter der Arbeiten: Wie ein lebendiger Leib sollen die Plastiken aufrechtstehen und sich strecken, aber auch beengt sein und zusammensinken, sich zersetzen und verfallen. Hier liesse sich fragen, ob es eine typisch österreichische Plastik gibt, die sich mit einer deutlichen Prise Humor vor allem für die Bedingungen des Leibes interessiert, von den physiognomischen Experimenten Franz Xaver Messerschmidts über die Performances der Wiener Aktionisten und Franz Wests Passstücke zu Erwin Wurms One-Minute-Sculptures reicht und unter die sich Ilona Kalnokys Plastiken einreihen lassen.

Die Verbindung von Konzeptualität und Körperhaftigkeit, die Kalnoky in ihren Arbeiten schafft, zeigt sich darüber hinaus darin, dass sie die Enzyklopädie der plastischen Begriffe, mit denen sich ihre Arbeiten beschreiben lassen und die eben auch Phänomene des menschlichen Leibes und seiner Psyche wie Lachen umfassen, in der Ausstellung von einem Schauspieler lesen lässt, sodass Stimme und Klang ebenfalls zu Anteilen des plastischen Prozesses werden.

© 2017 Heinz Stahlhut



www.ilonakalnoky.de