Was zur Hand ist
Ilona Kalnokys plastische Enzyklopädie
Falten, mischen, schütten, quetschen, schichten, rollen, stapeln
– all diese Tätigkeiten hat Ilona Kalnoky in den letzten Jahren immer wieder
vollführt. Für diese Handlungen hat sie einfachste Materialien benutzt: Sand
und Salz, Ton und Beton, Schaumstoff und Plexiglas. Manche der so entstandenen
Objekte sind für sich genommen recht unspektakulär, manche existieren garnicht
mehr; so der Gipskloss, den sie mit Wucht an die Wand geschleudert hat und der
dort auseinandergeplatzt hängen blieb. Da prangt er jetzt noch als Zeugnis
einer hoch emotionalen Handlung. Anderen Objekten hingegen hat die Zeit
unfreundlich mitgespielt: Bei der Schaumstoffrolle, die Kalnoky nahezu mittig
gefaltet, in einen oben offenen Plexiglaskasten gepresst hat, sind die beiden
unterschiedlich lang herausschauenden Enden vergilbt, während das Mittelstück
makellos geblieben ist. Auch der weisse Ballon schliesslich, den die Künstlerin
in eine Schraubklemme gezwungen hat, wird nicht ewig so schön prall bleiben und
sich mit seiner Oberflächenspannung der Klemme entgegenstemmen. Nach und nach
wird er Luft verlieren und irgendwann als leerer Schlauch zwischen den offenen
Enden der Klemme liegen.
Beiläufigkeit statt Verewigung
Mit klassischer Bildhauerei hat das natürlich wenig zu tun.
Schliesslich war diese doch auf Dauerhaftigkeit des Abbildes und somit auf
Verewigung des oder der Dargestellten angelegt: Bilder von Helden und
Herrscherinnen, Heiligen und Allegorien wurden darum mit Vorliebe in Marmor geschlagen
und Bronze gegossen, um die Erinnerung an sie so lang wie möglich wachzuhalten.
So bevölkern Franz Joseph I und Wilhelm II, Mozart und Wagner, Grillparzer und
Goethe noch heute vorzugsweise die städtischen Anlagen und gemahnen an manchmal
nur noch vergangene Grösse.
Für die Kunst des 20. Jahrhunderts, die Eigenschaften wie
Dynamik und Metamorphose feierte, war die Skulptur just aus den vorgenannten
Gründen eher ein Wechselbalg denn ein geliebtes Kind. Die bahnbrechenden
Neuerungen schienen sich sowieso eher in Malerei und Zeichnung, wenn nicht gar
nur in den neuen Medien wie Fotografie und Film und den ephemeren Gattungen wie
Performance und Konzept zu ereignen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg holte die
Skulptur mit der Adaption von alltäglichen Materialien wie industriell
hergestellten Stoffen und neuen Präsentationsformen wie der Kinetik den
Vorsprung der anderen Gattungen auf.
Hier kann Ilona Kalnoky anknüpfen, wenn sie Materialien wie
Schaumstoff oder Zement verwendet, die eigentlich aus der Produktion von
Gebrauchsobjekten stammen und von Kunstströmungen wie der Pop Art just wegen
ihrer Banalität schon in die Kunst eingeführt worden sind. Die Stoffe sind
günstig verfügbar, schnell bei der Hand und vermitteln daher unmittelbar den
konzeptuellen Charakter der meist kleinformatigen Arbeiten. Denn um die
besonderen handwerklichen Fähigkeiten, die es zum Hauen von Skulptur oder
Giessen von Plastiken braucht, geht es bei Kalnokys Arbeiten offensichtlich
nicht. Vielmehr zielen sie ab auf das Ausprobieren und das Vermessen der
künstlerischen Möglichkeiten der Plastik, die prinzipiell auf Aufhäufen,
Anfügen und Verformen von zumeist weichen Massen beruht.
Leib statt fester Form
Dabei soll die alltägliche, unvirtuose, plastische Geste, die
die Formveränderung hervorgebracht hat, ebenso sichtbar bleiben wie der
körperhafte Charakter der Arbeiten: Wie ein lebendiger Leib sollen die
Plastiken aufrechtstehen und sich strecken, aber auch beengt sein und
zusammensinken, sich zersetzen und verfallen. Hier liesse sich fragen, ob es
eine typisch österreichische Plastik gibt, die sich mit einer deutlichen Prise
Humor vor allem für die Bedingungen des Leibes interessiert, von den
physiognomischen Experimenten Franz Xaver Messerschmidts über die Performances
der Wiener Aktionisten und Franz Wests Passstücke zu Erwin Wurms
One-Minute-Sculptures reicht und unter die sich Ilona Kalnokys Plastiken
einreihen lassen.
Die Verbindung von Konzeptualität und Körperhaftigkeit, die
Kalnoky in ihren Arbeiten schafft, zeigt sich darüber hinaus darin, dass sie
die Enzyklopädie der plastischen Begriffe, mit denen sich ihre Arbeiten
beschreiben lassen und die eben auch Phänomene des menschlichen Leibes und
seiner Psyche wie Lachen umfassen, in der Ausstellung von einem Schauspieler
lesen lässt, sodass Stimme und Klang ebenfalls zu Anteilen des plastischen
Prozesses werden.
© 2017 Heinz Stahlhut
www.ilonakalnoky.de